TUNICHTGUT

Wolf Jahn, April 2003

Der Dank des Künstlers gilt vielen. Am Ende seines Bildbandes "tunichtgut" richtet ihn Frank Darius an Freunde und Galeristen;an Musiker und Verwandte, an Buddha und den Blauen Engel, an Künstler, an Fotografen, an Literaten, an Hollywood und Hotels, an den Club Waldesruh, an Puppen und namhafte Biersorten.

Ein wenig erhellt Frank Darius' Danksagung damit auch seine eigenen Bilder. Wie der Dank an unterschiedliche Quellen der Anregung, Unterstützung und privater Verbundenheit zurückgeht, verteilen sich seine Werke ebenso auf unterschiedlichste Geografien und Orte. Im wörtlichen Sinne, weil Darius ein Reisender ist, sich im privaten und öffentlichen Raum, im In- und Ausland bewegt. Überwiegend aber im metaphorischen Sinne, weil die hier abgesteckten Land- und Stadtkarten Geografien eines atmosphärischen Wiederklangs zwischen Subjekt und Welt markieren.

Es gibt Reisende, die finden, wonach sie suchen, ohne je zu suchen. Wer etwa die manifestierten Auswirkungen der Globalisierung sucht, weiß sie schon vor jeglichem Reisebeginn in Airports und den uniformen Architekturen von Handelsketten und ihren Produkten. Er wird seine Bilder dann so lange begradigen und ins rechte digitale Lot bringen, bis die Welt erscheint, wie sie erscheinen soll. Wer sich aber wie Frank Darius als "tunichtgut" auf die Reise macht, hat anderes im Sinne. Für ihn weitet sich der Horizont hin in Richtung auf einen offenen Dialog, auf einen Dialog mit der Zug um Zug ins Visier kommenden Umwelt. Bei Frank Darius setzt er des Öfteren während des Fahrens, der mobilen Form des Flanierens ein und hakt überall dort nach, wo im Augenwinkel des Künstlers die erste Kontur eines Bildes auftaucht. Dann verlässt Frank Darius sein Gefährt, um sich dem gefundenen Motiv weiter anzunähern.

Doch bei aller Unterschiedlichkeit seiner Motive erzeugt der erste Eindruck der Bilder von Frank Darius einen unterschwelligen Tenor von Einheitlichkeit. Dafür gibt es mehrere, größtenteils stilistische Gründe. Der fast durchgehende Einsatz einer einheitlichen Brennweite, die geringe Farbsättigung, die Stille, der monochrome, meist graue Himmel, die Tendenz zur Überbelichtung, die selbst in der Bewegung innehaltende Ruhe der Motive, der weiche Schatten und eine oft wie zum Stilleben erstarrte Kultur- und Stadtlandschaft überziehen Darius' Werk mit der Firnis von Einheitlichkeit. Solch visuelle Großwetterlage produziert atmosphärische Stimmungen der Melancholie, Verlassenheit und Ferne, aber auch der Distanzierung und latenten Unwirklichkeit. Ob im Motiv der Stadt, der Natur, eines Stofftiers, einer Fassade oder eines mit offener Wunde schwimmenden Fisches: die Wesen und Dinge in den Bildern von Frank Darius teilen das Schicksal, durch ihre Anwesenheit Abwesenheit zu erzeugen. Zum Beispiel im Bilde des "Alien", einer aluglänzenden, kulleräugigen Spielzeugpuppe eines Außerirdischen. In ihm paaren sich die stupenden Märchen der Erwachsenenwelt mit den kindlichen Bedürfnissen nach Geborgenheit, ohne jedoch beide in Erfüllung zu gehen. Und noch ein zweites Mal begegnet die Kinder- der Erwachsenwelt in gegenseitigem Verlorensein: im "Kinderwagen", der winzig klein in der Mitte einer formatfüllenden Hochhausfassade auftaucht. Wie ein Findling hat er sich hier eingefunden, nicht wissend, wer oder was ihn dort hingebracht hat. Dem Vehikel der "Geborgenheit" scheint diese selbst abhanden gekommen zu sein. So erzählt der "Kinderwagen" die Geschichte einer doppelten Entborgenheit.

Die eigentümliche Spannung zwischen An- und Abwesenheit in den Bildern von Frank Darius erzeugen vor allem anderen Präsenz und Nichtpräsenz des Menschen selbst. Der erste, flüchtige Blick registriert keinen einzigen Menschen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen muten die bewohnten Gelände, die urbanen Häusermeere menschenleer an. Aber dann entdecken wir ihn doch. Einsam joggt er in einem Park, zu zweit verliert er sich in einem Swimmingpool zwischen Hotel und Parkdeck, als Silhouette taucht er zwischen Straßen und Häusern auf, mit der Andeutung seiner Hand greift er an das Geländer eines kreisrunden Treppenhauses oder er erscheint ganz klein im Hintergrund vor einem Berg aus Blumenkisten. Manchmal ist er auch mittendrin, auch hier zwar klein, aber dann doch im Zentrum des Geschehens, wie in den beiden Bildern, die den Katalog „tunichtgut" ummanteln. Zwischen Türmen von Altpapier wandelt da ein einzelner Mensch, während zwei berittene Polizisten eine gespenstische Parade vor leeren Bänken ablaufen, die unmittelbar auf eine Schranke mit Durchfahrtsverbot zielt. Vielleicht kein Zufall, dass sich diese Individuen nicht so recht in das Bild von Individuen fügen wollen, sind sie doch alle drei in der Ausübung ihrer Berufe begriffen. Aber selbst hierin wirken sie außerhalb "ihrer Sache". Sie wahren eine Distanz zu dem Umfeld, in dem sie eigentlich tatkräftig agieren, handeln und sich verhalten sollten.

Nahezu völlig aus dem Bild gebannt sind in Frank Darius' urbanen Szenen die Menge, die Masse, die Ansammlung, die lose Zusammenhäufung, die zufällige Versammlung „Mensch". Ausschließlich Individuen, allein oder zu zweit, bewegen sich durch ihre Weiten oder verharren in ihr. Selbst dort, wo die Vielzahl "Mensch" im Bilde ist, verschwindet sie förmlich vor unseren Augen. Darius hat Bilder von öffentlichen Verkehrsmitteln aufgenommen, von einem Flugzeug, einem Bus, einer S- und einer Schwebebahn. Doch verweigern die Bilder dieser Vehikel den Einblick in ihr Inneres. Sie sind verschwommen, in Bewegung begriffen, zu einem Strich oder durchgehenden Farbband reduziert. Ihre Bewegung gleicht einer Bewegung des Verschwindens, nicht der dynamischen Fortbewegung. Und doch ist da immer das Wissen, dass hier Menschen von Ort zu Ort transportiert werden. Diese Städte, so könnte man meinen, kennen keinen Ort für die öffentlich-menschliche Kommunikation. Stattdessen verwandelt sie Darius in einen Ort der Einzelnen, an dem er wie ein Fremder im eigenen Haus verkehrt.

Wo nicht die Weite einer Landschaft dominiert, fokussiert Darius auf das einzelne Objekt oder auf das Ensemble weniger Dinge. Eine Kinderschaukel samt Klettergerüst, Lastwagen, kindlicher Nippes, eine Leiter oder eine Steinschleuder ruhen wie Stilleben in sich. Eloquente Stilleben, die erzählen und erzählen wollen, wie jener Trenchcoat etwa, der aus der Reihe, genauer von der Stange seiner Artgenossen gefallen ist. Nun liegt er wie ein Ausgestoßener am Boden unterhalb all der anderen aufgehängten Mäntel. Und es bleibt offen, ob er sich verwundert die Augen reibt, wohin es ihn verschlagen hat oder ob er ein Gefallener ist und bleibt. Auch in anderen Bildern spielt das Kleid des Menschen als dessen zweite Haut eine nicht unerhebliche Rolle. Es gleicht darin einem intimen Pendant zu jener „dritten" menschlichen Haut, die in Darius' Bildern in Form von Wohnhäusern, Containern oder in den bereits oben erwähnten Fahrzeugen und Vehikeln, vom Kinderwagen bis zum Jet eine Hauptrolle einnimmt.

Wenn die Anwesenheit in Darius‘·Bildern Abwesenheit erzeugt, gilt auch der Umkehrsatz. Die verlassenen bzw. leeren Orte füllen das Betrachtergedächtnis mit Erinnerungen, Assoziationen und Gedanken an jene, die wir hier nicht zu Gesicht bekommen. Im Besonderen ereignet sich dies in Bildern, in denen Darius Symmetrie oder das Paar ins Spiel bringt, sei es in Form von zwei Häusern, zweier Fußballtore, zweier Stühle in Pink und in Himmelblau oder eines Kerzen-Katzenpärchens. Warum im Besonderen hier die Anwesenheit des Menschen suggeriert wird, mag sich in der Symmetrie als Signum des Lebens und des Paares als Keimzelle des Sozialen gründen. Selbst von einem so unwirtlich-gespenstischem Bild wie dem eines strahlenden Toilettenhauses inmitten dunkler Nacht geht noch die Erinnerung an den Menschen aus. Unmöglich, dass es sich hier um ein Lager oder ein Gerätehaus handelt. Vorsichtig weckt das Haus mit seinen zwei getrennten Eingängen sogar Assoziationen an Wetterhäuschen mit ihren meteorologisch bedingten Ein- und Austritten der Geschlechter in den jeweiligen Häuserhälften. Im vorliegenden Fall aber sind die Türen ungeöffnet, das Draußen finster, das Innen grell erleuchtet. Das Szenario für eine mögliche Erzählung ist eröffnet.

Von einer Erzählung aber erwarten wir, dass sie einen Bogen spannt, einer inneren Dramaturgie folgt und schließlich zu ihrem Ende findet. Von solcher Struktur sind die Bild-Erzählungen von Frank Darius sicherlich nicht gezeichnet. Mehr ähneln sie Motiven von Bildmelodien. Sie intonieren ein Thema, spielen Töne, erzeugen ein Spektrum des Klangs und Wiederklangs. Melodien einer Reise, die weder von Aufbruch noch von Heimkehr zeugen. Die das Leben selbst als permanente Reise umspielen.

 
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